GEHEIM GEHALTEN

GERADE ALS ICH MEINEN KOFFER FÜR DIE EXTREM KURZE DIENSTREISE NACH PEKING PACKTE, MÜSSEN AM ANDEREN ENDE DER WELT KRISENSTÄBE GETAGT HABEN. ICH PFERCHTE ALLES INS HANDGEPÄCK, WAS ICH AUF MEINER ERSTEN CHINAREISE ZU BRAUCHEN GLAUBTE: COMPUTER, LADEGERÄT, RASIERER, ZAHNBÜRSTE, WÄSCHE UND VOR ALLEM MEDIZIN. ICH WOLLTE GERÜSTET SEIN FÜR DAS ÜBLICHE – MIGRÄNE, RÜCKENSCHMERZEN UND EINE MÖGLICHE ERKÄLTUNG ...

Es gab viele Vorwürfe an China. US-Präsident Donald Trump nannte den Erreger, der 2020 Hunderttausende Menschenleben kostete, sogar eine Zeit lang den „China-Virus“. Als würden Krankheiten eine Staatsangehörigkeit besitzen und könnten an den Grenzen barsch zurück gewiesen werden. Einer der größten Vorwürfe an die Volksrepublik war, den Ausbruch der Lungenkrankheit lange geheim gehalten zu haben. Zu lange.

Nachträglich erinnere ich mich dunkel, dass meine Mutter um Silvester herum von einem neuen Ausbruch der Lungenkrankheit SARS in China gehört und mir dies wegen meiner bevorstehenden Geschäftsreise erzählt hatte. Aber ich nahm ihre Warnung wohl so wenig ernst, dass ich mich keine Sekunde mit dem Gedanken befasste, die Reise könnte für mich gefährlich werden. Eine China-Expertin unter den Kollegen, die mit uns reiste, wusste auch davon, bevor wir uns auf den Weg machten, wollte uns jedoch nicht beunruhigen, wie sie später sagte. Die Tragweite der jüngsten Entwicklung im Reich der Mitte hatte sich auch ihr nicht erschlossen.

Auch als ich in den ersten Januartagen mein Visum auf dem chinesischen Konsulat abholte und meine Fingerabdrücke abgab, erhielt ich dort keinerlei Hinweis. Und das, obwohl sich China bereits am 31. Dezember an die Weltgesundheitsorganisation WHO gewandt hatte, weil sich in der Millionenstadt Wuhan im Westen des Landes Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung häuften. Die Reise-Sicherheitshinweise, die ich zusammen mit meinem Flugticket erhalten hatte, wiesen auf zwei mäßige Erdbeben der Stärke 5 in anderen Landesteilen und eine Explosion in einer chinesischen Fabrik für Feuerwerkskörper hin. Geradezu harmlos.

An dem Abend, an dem ich in den Flieger einstieg, ging eine kurze Nachricht durch die Lokalmedien Wuhans: Der 61-jährige Besucher eines Fischmarkts sei bereits zwei Tage zuvor, am 9. Januar, an einer Lungenkrankheit gestorben. Die Welt nahm keine Notiz davon, warum auch.

Hinflug am Samstagabend, den 11. Januar 2020. Der weitere Plan: Sonntag akklimatisieren, mit meiner Reisegruppe den Fahrplan für die kommenden beiden Tage durchsprechen, Montag und Dienstag strategische Gespräche mit unseren chinesischen Partnern führen und sie zum Gegenbesuch einladen, am Mittwoch schon wieder Rückreise und am späten Mittwochabend Landung in München. Einige Hände geschüttelt, gute Restaurants besucht, mit der U-Bahn gefahren, durchs Einkaufszentrum geschlendert. Vier Tage China. Wenige Wochen später hätte man uns für die gleiche Reise für verrückt erklärt, weil die ganze Welt auf einen Schlag still stand.

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