HEIMAT-HAFEN

HOMEOFFICE GIBT ES THEORETISCH SCHON LANGE. DOCH WIE VIELE ARBEITGEBER ZEIGTEN BISLANG DAS NÖTIGE VERTRAUEN DABEI? DASS DA WIRKLICH GEARBEITET WIRD? DIE HALTUNG „AUS DEN AUGEN, AUS DEM SINN“ HAT DIE PRÄSENZKULTUR IN DEN FIRMEN JAHRZEHNTELANG AUFRECHT ERHALTEN. SO FEHLTE VIELEN MITARBEITERN DIE ERFAHRUNG, WÄHREND DIE TECHNISCHE INFRASTRUKTUR IN DIE KNIE GING. SO HATTEN WIR UNS NEW WORK NICHT VORGESTELLT...

Es fühlte sich wie eine Flucht an. Büromitarbeiter liefen mit Computer-Bildschirmen und Tastaturen unterm Arm zu ihren Autos. Manche hatten sich sogar Kartons gepackt, voll mit all dem, was man unbedingt zu Hause brauchen würde, wenn alle Welt so weit möglich auf „Homeoffice“-Betrieb umschalten würde. Auch wenn da Berge von Akten und Papier umgezogen wurden, sollte sich bald herausstellen, wie papierlos selbst die deutsche Wirtschaft bereits arbeiten kann – wenn es nicht anders geht. Auch wenn es mal einen Slogan gab „Vertrauen ist der Anfang von allem“ (den ausgerechnet die Deutsche Bank für ihre Werbung verwendete), so schien es mit dem Vertrauen der deutschen Wirtschaft in ihre eigenen Arbeitskräfte nicht weit her zu sein. In zu vielen Unternehmen herrschte Anfang 2020 noch eine ausgeprägte Präsenzkultur. Homeoffice scheint für viele ein Fremdwort zu sein, obwohl Heimarbeit am Webstuhl schon im 19. Jahrhundert praktiziert wurde. Andere kennen das „Home Office“ nur als Londoner Behörde („lead UK government department for immigration and passports, drugs policy, crime, fire, counter-terrorism and police“).

Die Regelungen in der Coronakrise wichen von Firma zu Firma deutlich ab. Zwischen dem ersten Unternehmen, das seinen Mitarbeitern in der Coronakrise das Arbeiten zu Hause ans Herz legte und dem letzten, das notgedrungen der Forderung nachgab, seine Belegschaft zu schützen, lagen gut und gerne sechs Wochen. Adidas, Henkel und SAP empfahlen Homeoffice bereits in der letzten Februarwoche. Der Suchmaschinenbetreiber Google schickte am 2. März alle 8.000 Mitarbeiter in Dublin nach Hause, nachdem ein Kollege grippeähnliche Symptome meldete, und weitete die Homeoffice-Empfehlung am 11. März auch auf Deutschland aus. Andere Unternehmen begannen erst Ende März halbherzig damit. Täglich neue Formulierungen waren im Umlauf, denen man den Widerwillen richtig anmerkte. Zwischen „dürfen“, „sollen“ und „müssen“ traten Welten zutage. Das Misstrauen gegenüber dem „Humankapital“ wurde offensichtlich. Selbst die Frage, ob mindestens oder maximal die Hälfte der Teams im Büro bleiben sollte, um dort wenigstens Abstand zu wahren, blieb offen. Nur dort, wo es Bundes- oder jeweilige Landesregierung regelten, funktionierte es auf Anhieb. Der eine Hebel waren Schwangere, die als Risikogruppe eingestuft wurden. Der andere Hebel waren indirekt die Kindertagesstätten und Schulen. Als diese auf einen Schlag geschlossen wurden, mussten Eltern zu Hause bleiben und die Betreuung selbst übernehmen. Der Begriff des „Home Schooling“ kam in Mode. Geschäftliche Videokonferenzen mit Kindergeschrei im Hintergrund gehörten über Nacht zum guten Ton. So manch kinderlose Beschäftigte wären allerdings gern ebenso fürsorglich von ihren Vorgesetzten vor einer Ansteckung am Arbeitsplatz geschützt worden..

Buch WAHRHEIT ÜBER CORONA weiterlesen?